3. Übertragung von Aktiven und Passiven nach Fusionsgesetz

3.1 Ausweitung des Tatbestands der Universalsukzession
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Bei einer Fusion, Spaltung oder Vermögensübertragung können nicht nur Gegenstände und Forderungen (Aktiven), sondern auch Verpflichtungen (Passiven) übertragen werden. Bei diesen Transaktionen sieht das Gesetz ausdrücklich vor, dass mit der Eintragung der Fusion, Spaltung oder Vermögensüber­tragung ins Handelsregister alle davon betroffenen Aktiven und Passiven auf die übernehmende Gesellschaft übergehen.1916 Während eine Fusion naturgemäss immer sämtliche Aktiven und Passiven der übertragenden Gesellschaft umfasst, sind die von einer Spaltung oder Vermögensübertragung betroffenen Aktiven und Passiven in einem Inventar aufzuführen.1917

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Der Gesetzeswortlaut ist bezüglich des Rechtsübergangs der betroffenen Ak­­tiven und Passiven bei allen drei Transaktionsformen (Fusion, Spaltung und Vermögensübertragung) identisch: Der Übergang erfolgt von Gesetzes wegen.1918 Die einheitliche Terminologie spricht dafür, dass die Frage des automatischen Übergangs von Rechten und Pflichten bei allen drei Transaktionsformen gleichzubehandeln ist. Zudem deckt sich der Ausdruck «Übergang von Gesetzes wegen» mit der Terminologie «kraft Gesetzes» in Art. 560 Abs. 1 ZGB zur Universalsukzession beim Erbgang.1919

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Wie bereits erwähnt, galt für die Fusion nach früherem Recht gemäss
Art. 748–750 aOR der Grundsatz, dass sämtliche Rechte und Pflichten ohne Mitwirkung Dritter automatisch auf den übernehmenden Rechtsträger übergingen.1920 Dieser Grundsatz muss auch auf die strukturell gleich ausgestaltete Fusion gemäss Art. 3 ff. FusG Anwendung finden. Mit den Rechten und Pflichten der untergehenden Gesellschaft gehen auch deren Vertragsverhältnisse ohne Zustimmung der jeweiligen Vertragspartner auf die übernehmende Gesellschaft über. Die Botschaft erklärte denn auch die Fusion ausdrücklich zu einem Tatbestand der Universalsukzession.1921

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Bei der Spaltung und Vermögensübertragung werden meist nicht sämtliche, sondern nur Teile der Aktiven und Passiven des übertragenden Rechtsträgers übertragen; es handelt sich in diesen Fällen um eine partielle Universalsukzession.1922 Abgesehen von der quantitativen Beschränkung der zu übertragenen Vermögenswerte hat eine partielle Universalsukzession dieselben Wirkungen wie eine vollwertige Universalsukzession:1923 Dies ergibt sich nicht nur aus der mit der Fusion übereinstimmenden gesetzlichen Terminologie des Übergangs «von Gesetzes wegen»,1924 sondern auch aus dem Zweck des Fusionsgesetzes, Umstrukturierungen zu erleichtern und ganze Unternehmensteile als Sach- und Rechtsgesamtheit übergehen zu lassen.1925

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Bei der Fusion, der Spaltung und der Vermögensübertragung gilt demnach das gleiche strukturelle Prinzip der Universalsukzession. Allerdings weitet das Fusionsgesetz bei der Spaltung und der Vermögensübertragung das bisherige Konzept der Universalsukzession aus: Mit diesen Transaktionsformen darf nicht nur eine vorbestehende Sach- und Rechtsgesamtheit nach dem Prinzip «alles oder nichts» übertragen werden, vielmehr können solche Sach- und Rechtsgesamtheiten mehr oder weniger willkürlich definiert und dann im Rahmen einer (partiellen) Universalsukzession übertragen werden.1926

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Bei einer Spaltung oder Vermögensübertragung können die Transaktionsparteien nicht nur den Kreis der übergehenden Rechte oder Forderungen, sondern auch den Kreis der übergehenden Verpflichtungen im Inventar weitgehend frei bestimmen. Das Bemerkenswerte des Übergangs auf dem Weg einer Universalsukzession liegt darin, dass insbesondere für den Übergang von Verpflichtungen, beispielsweise von Verpflichtungen aus einem Vertrag, keine Zustimmung der jeweils berechtigten Vertragspartei erforderlich ist.1927 Das Fusionsgesetz erlaubt durch die weitgehende Freiheit bei der Bezeichnung des Verfügungsgegenstands im Rahmen einer partiellen Universalsukzession faktisch die selektive Übertragung nicht nur von Rechten, sondern auch von Pflichten.

3.2 Flankierende Schutzmechanismen
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Die Liberalisierung der Transaktionsmodalitäten im Fusionsgesetz bringt den Transaktionsparteien eine grössere Dispositionsfreiheit als unter früherem Recht. Gleichzeitig werden aber auch zusätzliche Schutzmechanismen zugunsten der Drittparteien eingeführt, insbesondere zum Schutz der Gläubiger. Diese Schutzmechanismen sind ein gewisser Ausgleich dafür, dass beim Schuldnerwechsel im Rahmen einer Transaktion nach Fusionsgesetz keine Zustimmung der Gläubiger erforderlich ist.

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Konkret sieht das Fusionsgesetz zum Schutz der Gläubiger bei jeder Trans­aktionsform entweder einen vorgängigen oder erst nachträglich ansetzenden Absicherungsmechanismus vor. Zum Instrumentarium gehören bei einer Fusion der nachträgliche Schuldenruf mit der Möglichkeit der Gläubiger, Sicherstellung für ihre Forderungen zu verlangen, sowie die Weiterhaftung der bisher persönlich haftenden Gesellschafter.1928 Bei der Spaltung setzt der Gläubigerschutz mit denselben Instrumenten bereits vor Vollzug der Transaktion an; überdies haften alle an der Spaltung beteiligten Gesellschaften subsidiär solidarisch für die übergehenden Verbindlichkeiten.1929 Bei der Vermögensübertragung ist zum Schutz der Gläubiger der übergehenden Verbindlichkeiten in Art. 75 FusG eine unbedingte und direkte Solidarhaftung des übertragenden Rechtsträgers mit allfälliger Sicherstellungspflicht vorgesehen. Mit zunehmender Dispositionsfreiheit des übertragenden Rechtsträgers steigt das Missbrauchspotenzial. Bei den flexiblen Transaktionsformen der Spaltung und Vermögensübertragung ist der Schutz der Drittgläubiger deshalb auch stärker ausgestaltet als bei der Fusion.

3.3 Vertragsübergang
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Das Fusionsgesetz hat den Kreis der Rechte, über welche die Parteien frei ­disponieren können, erweitert und zugleich die Möglichkeit der einseitigen Verfügung über eine Verpflichtung im Schweizer Recht eingeführt. Damit stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit des Vertragsübergangs1930, genau genommen, ob die Übertragung eines Vertragsverhältnisses von Gesetzes wegen erfolgen kann oder ob dazu die Zustimmung sämtlicher Vertragsparteien, welche nicht Parteien des Übertragungsvertrags sind, notwendig ist (sog. «Drittvertragsparteien»).

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Solange eine Verfügung nur über Forderungen, nicht aber über Gestaltungsrechte möglich war und solange Verpflichtungen nur mit Zustimmung des Gläubigers übertragen werden konnten, war eine Vertragsübertragung schon aus rein formellen Gründen nur mit Zustimmung der Gegenpartei denkbar. Das Fusionsgesetz lässt aber die Verfügung über alle aus einem Vertrag fliessenden Rechte und Pflichten zu. Dies bedeutet einen Eingriff in das aus der Privatautonomie fliessende Recht der Gegenpartei, ihren Vertragspartner selber zu bestimmen. Eine getrennte Behandlung des Vertragsverhältnisses von den daraus fliessenden Rechte und Pflichten wäre weder rechtspolitisch noch öko­nomisch zweckmässig: Soweit dem Vertrag nach Übertragung sämtlicher aus diesem fliessenden Rechte und Pflichten überhaupt noch eine Bedeutung zukommt, liegt es im Interesse aller involvierten Parteien (einschliesslich der Gegenpartei), dass mit der Gesamtheit der Rechte und Pflichten aus dem Vertragsverhältnis auch dieses selbst übergeht. Exemplarisch zeigt dies die Regelung von Art. 333 OR: Der Gesetzgeber nimmt hier zu Recht an, dass der Arbeitnehmer bei einer Betriebsübertragung am besten geschützt ist, wenn zusammen mit dem Betrieb das gesamte Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber übergeht.1931

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Aus dem Gesagten ist mit der herrschenden Lehre zu schliessen, dass die von einer Fusion, einer Spaltung oder einer Vermögensübertragung erfassten Verträge gemäss Fusionsgesetz ohne Zustimmung der jeweils anderen Vertragspartei übergehen.1932 Dies entspricht dem Zweck des Fusionsgesetzes, Umstrukturierungen wie beispielsweise Spaltungen oder Vermögensübertragungen nicht nur zu ermöglichen, sondern auch zu erleichtern. Zum Ausgleich für diese zusätzliche Dispositionsfreiheit schützt das Fusionsgesetz die Interessen der Gläubiger in besonderer Weise durch verschiedene Vorschriften und Schutzmechanismen.1933

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Auch in der Praxis wird die Übertragung von Verträgen mittels (partieller) Universalsukzession bejaht: das EHRA hält zwar im Grundsatz am Zu­­stimmungserfordernis von Drittparteien fest. Praktisch beschränkt sich die Überprüfung des Handelsregisteramts aber regelmässig auf den Inhalt des Übertragungsvertrags nach Art. 71 FusG. Da Eintragungen von Vermögensübertragungen nach Art. 148 HRegV nur dann abzulehnen sind, wenn die erfassten Gegenstände offensichtlich nicht frei übertragbar sind, ist nach Praxis des EHRA nur in Extremfällen einzuschreiten. Bei privatrechtlichen Zustimmungserfordernissen sind solche Abklärungen in aller Regel kaum möglich und auch nicht erforderlich. Ob ein in einem Inventar aufgeführter Vertrag übergeht oder nicht bzw. ob die Zustimmung sämtlicher Vertragsparteien zur Übertragung des entsprechenden Verhältnisses übergeht, ist vom Handels­registeramt nicht zu beurteilen und entsprechende Vermögensübertragungen sind daher grundsätzlich einzutragen.1934