V. Gläubiger
Die Vermögensübertragung ist aufgrund ihrer vielfältigen Ausgestaltungsmöglichkeiten die liberalste der im Fusionsgesetz geregelten Transaktionsformen. Die Organe der beteiligten Gesellschaften können im Rahmen ihrer Sorgfalts- und Treuepflicht frei darüber entscheiden, welche Vermögensteile sie zu welchen Konditionen auf welche Rechtsträger übertragen wollen. Die Auswirkungen auf die Gläubiger der beteiligten Rechtsträger sind dementsprechend potenziell grösser als bei einer Fusion, Umwandlung oder Spaltung. So könnten beispielsweise Gläubiger der übertragenden Gesellschaft benachteiligt werden, wenn ohne adäquate Gegenleistung besonders wertvolle Aktiven übertragen werden. Eine Vermögensübertragung könnte aber auch die Gläubiger der übertragenen Verbindlichkeiten benachteiligen, wenn der übernehmende Rechtsträger weniger solvent ist als der übertragende.1774
Das Fusionsgesetz trifft daher eine Reihe von Gläubigerschutzvorkehren, auf welche in diesem Kapitel zum Teil noch genauer eingegangen wird:
- Gemäss Art. 71 Abs. 2 FusG ist die Vermögensübertragung nur zulässig, wenn das Inventar aus der Sicht des übernehmenden Rechtsträgers einen Aktivenüberschuss ausweist. Diese Bestimmung schützt die Gläubiger des übernehmenden Rechtsträgers davor, dass deren Haftungssubstrat beim übernehmenden Rechtsträger aufgrund der Transaktion verringert wird.1775
- Gemäss Art. 75 Abs. 1 FusG haftet der übertragende Rechtsträger neben dem übernehmenden Rechtsträger während dreier Jahre solidarisch für die vor der Vermögensübertragung begründeten, auf den übernehmenden Rechtsträger übertragenen Schulden.1776
- Entfällt die Solidarhaftung vorzeitig oder bietet sie dem Gläubiger nicht genügend Sicherheit, so sind die an der Vermögensübertragung beteiligten Rechtsträger gemäss Art. 75 Abs. 3 und 4 FusG zur Sicherstellung oder Erfüllung der übertragenen Forderungen verpflichtet.
- Die gesetzlichen und statutarischen Bestimmungen über den Kapitalschutz1777 und die Liquidation müssen bei einer Vermögensübertragung aufgrund des ausdrücklichen Vorbehalts in Art. 69 Abs. 2 FusG beachtet werden. Dieser Vorbehalt verbietet es beispielsweise einer Aktiengesellschaft, Einlagen zurückzuerstatten (Art. 680 Abs. 2 OR). Führt die Vermögensübertragung faktisch zur Liquidation einer Gesellschaft, so sind auch die spezifischen gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen zur Liquidation einzuhalten.1778 Praktisch bedeutsam sind diese Bestimmungen vor allem dann, wenn die Angemessenheit der Gegenleistung einer Vermögensübertragung umstritten ist.1779 Der Handelsregisterführer wird gemäss Art. 28 HRegV die Einhaltung dieser Vorschriften zumindest summarisch überprüfen.1780
- Werden die Gläubiger durch eine Pflichtverletzung der mit der Vermögensübertragung befassten Personen geschädigt (etwa infolge unangemessener Gegenleistung für die übernommenen Aktiven und Passiven), so steht ihnen unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer Verantwortlichkeitsklage nach Art. 108 FusG offen.1781
Solidarhaftung des übertragenden Rechtsträgers
927Gemäss Art. 75 Abs. 1 FusG haftet der bisherige Schuldner (der übertragende Rechtsträger) für die vor der Vermögensübertragung begründeten, übertragenen Schulden während dreier Jahre solidarisch mit dem neuen Schuldner (dem übernehmenden Rechtsträger). Anders als bei der Spaltung handelt es sich hier um einen Fall der echten Solidarität i.S.v. Art. 143 Abs. 2 OR.1782 Sowohl der übertragende als auch der übernehmende Rechtsträger haften für die Erfüllung der gesamten Schuld. Die Zahlung des einen Solidarschuldners befreit den anderen. Der Charakter dieser Solidarhaftung ist unbedingt und direkt (nicht subsidiär).1783 Mithin kann ein Gläubiger entsprechend Art. 144 OR direkt auf den übertragenden Rechtsträger greifen, ohne zunächst die Erfüllung vom übernehmenden Rechtsträger verlangen zu müssen.1784
928Während sich die Solidarhaftung gemäss Art. 75 Abs. 1 FusG im Normalfall auf Verpflichtungen beschränkt, die vor der Vermögensübertragung begründet wurden und gemäss Inventar auf den übernehmenden Rechtsträger übertragen werden,1785 erweitert Art. 76 Abs. 2 FusG den Kreis der geschützten Forderungen zugunsten von Arbeitnehmern auch auf künftige Forderungen. Die Solidarhaftung erfasst all jene Forderungen aus Arbeitsvertrag, die bis zu dem Zeitpunkt fällig werden, auf den das Arbeitsverhältnis ordentlicherweise gekündigt werden könnte.
929Die Solidarhaftung des übertragenden Rechtsträgers verjährt1786 gemäss Art. 75 Abs. 2 FusG drei Jahre nach der Veröffentlichung der Vermögensübertragung im SHAB.1787 Für Forderungen, die erst nach der Veröffentlichung der Vermögensübertragung fällig werden (aber vorher entstanden sind), beginnt die dreijährige Verjährungsfrist der Solidarhaftung erst mit der (späteren) Fälligkeit zu laufen.1788
Sicherstellungspflicht
2.1 Voraussetzungen
930Eine Sicherstellungspflicht der beteiligten Rechtsträger für übertragene Forderungen besteht – im Gegensatz zur Fusion oder Spaltung1789 – nur in besonderen Fällen.1790 Die Sicherstellungspflicht besteht gemäss Art. 75 Abs. 3 lit. a FusG einerseits, wenn die solidarische Haftung vor Ablauf der Dreijahresfrist entfällt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine an der Vermögensübertragung beteiligte Partei, also der übertragende oder der übernehmende Rechtsträger, innerhalb der Dreijahresfrist aufgrund eines Konkurses oder anderweitig aufgelöst wird.1791 Freiwillige Auflösungen werden in der Praxis vor allem dann vorkommen, wenn durch die Vermögensübertragung zwecks verfahrensmässiger Vereinfachung eine andere Transaktionsform wie etwa eine Fusion oder eine Umwandlung nachgezeichnet worden ist.1792
931Andererseits sieht Art. 75 Abs. 3 lit. b FusG eine Sicherstellungspflicht vor, wenn die Gläubiger glaubhaft machen können, dass die solidarische Haftung keinen genügenden Schutz bietet. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Vermögensübertragung ohne angemessene Gegenleistung erfolgt ist (und daher den bisherigen, weiterhin solidarisch haftenden Schuldner schwächt) und der neue Schuldner von Anfang an weniger solvent oder sogar überschuldet ist.1793 Die Gläubiger müssen das entsprechende Schutzbedürfnis substanziiert darlegen.1794 Allerdings wird kein strikter Beweis verlangt, Glaubhaftmachung reicht aus (Art. 75 Abs. 3 lit. b FusG). Die dazu notwendigen Informationen werden hauptsächlich im Übertragungsvertrag und insbesondere im Inventar zu finden sein. Die Gläubiger können über das Handelsregister Einblick in diese Unterlagen erlangen.1795
932Die an der Vermögensübertragung beteiligten Rechtsträger sind erst nach Stellung eines Sicherstellungsbegehrens der Gläubiger zur Sicherstellung verpflichtet. Dies ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern daraus, dass es den beteiligten Rechtsträgern faktisch unzumutbar ist, von sich aus Forderungen sicherzustellen, deren Sicherstellung die Gläubiger nicht verlangt haben.1796 In zeitlicher Hinsicht entsteht die Sicherstellungspflicht nach Art. 75 Abs. 3 lit. a FusG mit dem vorzeitigen Entfallen der Solidarhaftung. Bei ungenügendem Schutz durch die Solidarhaftung gemäss Art. 75 Abs. 3 lit. b FusG entsteht die Sicherstellungspflicht, sobald die solidarische Haftung für die betreffende Verbindlichkeit entstanden ist (also sobald die Vermögensübertragung aufgrund der Eintragung ins Handelsregister rechtswirksam ist) und der Gläubiger sein Schutzbedürfnis glaubhaft gemacht hat. Im Unterschied zur Spaltung1797 erfolgt bei der Vermögensübertragung eine allfällige Sicherstellung der Gläubigerforderungen nicht bereits vor dem Vollzug der Transaktion, sondern erst nachträglich.1798 Dementsprechend kann die pflichtwidrige Unterlassung der Sicherstellung die Transaktion nicht mehr verhindern.1799 Anders als bei der Fusion ist bei der Vermögensübertragung das Recht der Gläubiger, eine Sicherstellung zu verlangen, zeitlich nicht auf eine Frist von drei Monaten nach dem Vollzug der Transaktion beschränkt.1800 Die Gläubiger können deshalb ihr Recht auf Sicherstellung während der gesamten dreijährigen Verjährungsfrist (Art. 75 Abs. 2 FusG) geltend machen.1801
2.2 Betroffene Forderungen
933Die Sicherstellungspflicht nach Art. 75 Abs. 3 FusG bezieht sich nur auf jene Verbindlichkeiten, für welche gemäss Art. 75 Abs. 1 FusG eine solidarische Haftung besteht, konkret also für die vor der Vermögensübertragung begründeten und gemäss Inventar übertragenen Schulden. Bei Dauerschuldverhältnissen müssen auch zukünftige Forderungen analog Art. 27 Abs. 2 FusG bis zu jenem Zeitpunkt sichergestellt werden, auf den das Verhältnis ordentlicherweise gekündigt werden könnte.1802 Fällige Forderungen sind nicht sicherzustellen, sondern zu erfüllen. Bei zweiseitigen Verträgen, die vor der Transaktion von einem der beteiligten Rechtsträger abgeschlossen und noch nicht erfüllt worden sind, ist der Umfang der Sicherstellung auf die Differenz zwischen dem Marktwert der Forderung und der Gegenleistung der anderen Vertragspartei zu reduzieren.1803 Analog Art. 83 Abs. 1 OR ist die andere Vertragspartei berechtigt, ihre Leistung so lange zurückzuhalten, bis ihre Forderung gegen den übernehmenden Rechtsträger sichergestellt oder erfüllt wird.1804 Vorbehalten bleibt eine entsprechende vertragliche Regelung, die speziell auf eine Vermögensübertragung Bezug nimmt.
934Ein Anspruch auf Sicherstellung besteht auch für bestrittene oder bedingte Forderungen.1805 Diese sollten allerdings grundsätzlich in der Schweiz vollstreckbar sein. Der Umfang der Sicherstellung richtet sich nach dem Nominalwert der Forderung einschliesslich aller bis zum Zeitpunkt der Vermögensübertragung entstandenen Nebenansprüche (wie z.B. aufgelaufenen Zinsen).1806 Der Solidarhaftung entsprechend, können die Gläubiger entweder vom übertragenden oder vom übernehmenden Rechtsträger Sicherstellung verlangen, sofern überhaupt noch eine Mehrheit von Rechtsträgern besteht.1807
2.3 Arten und Durchsetzung der Sicherstellung
935Sofern eine Pflicht zur Sicherstellung besteht, kann diese nach Wahl der verpflichteten Rechtsträger1808 in verschiedenen Formen erfolgen. Denkbar sind grundsätzlich sämtliche Arten von Personal- und Realsicherheiten.1809 Die Sicherheit muss jedoch stets genügend sein, d.h. wertmässig die Höhe der sicherzustellenden Forderung decken. Die Gläubiger können eine vollumfängliche Sicherstellung ihrer Forderungen verlangen1810 oder sich auch mit einer geringeren Sicherheit begnügen. Ein allfälliges Recht auf Sicherstellung können die Gläubiger gerichtlich durchsetzen,1811 so namentlich bei einer generellen Weigerung der Gesellschaft zur Sicherstellung, aber auch bei Leistung einer nur ungenügenden Sicherheit.
936Grundsätzlich möglich ist auch die direkte Betreibung auf Sicherheitsleistung.1812 Die Betreibung kann aber gemäss Art. 74 ff. SchKG durch einen einfachen Rechtsvorschlag des Schuldners gestoppt werden. Dieser Rechtsvorschlag lässt sich – abgesehen von seinem Rückzug durch den Schuldner oder von einem ordentlichen Prozess nach Art. 79 SchKG – nur durch definitive Rechtsöffnung basierend auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil nach Art. 80 f. SchKG oder durch provisorische Rechtsöffnung basierend auf einer schriftlichen Schuldanerkennung nach Art. 82 f. SchKG beseitigen. Da der Gläubiger im Normalfall über keine Schuldanerkennung auf Sicherheitsleistung verfügt, ist deshalb die Betreibung auf Sicherheitsleistung meist erst dann zweckmässig, wenn sie gestützt auf einen vorausgegangenen Gerichtsentscheid erfolgen kann.
2.4 Vorzeitige Erfüllung von Forderungen
937Anstelle einer Sicherheitsleistung können die beteiligten Rechtsträger gemäss Art. 75 Abs. 4 FusG die betreffenden Forderungen erfüllen, sofern dadurch die anderen Gläubiger nicht geschädigt werden. Der Vorbehalt zugunsten der anderen Gläubiger ist als Verweis auf die paulianischen Anfechtungstatbestände nach Art. 285 ff. SchKG zu verstehen. Zudem ist eine vorzeitige Erfüllung mit Blick auf Art. 81 OR nur dann möglich, wenn sie nicht dem Inhalt oder der Natur des Vertrags widerspricht, dem die entsprechende Forderung zugrunde liegt.1813 Im Übrigen besteht kein Anspruch auf vorzeitige Erfüllung und die Vermögensübertragung alleine hat keine Auswirkungen auf die Fälligkeit der Forderungen.
Zuordnung von Verbindlichkeiten
938Die Zuordnung von Verbindlichkeiten zu den beteiligten Rechtsträgern kann bei der Vermögensübertragung ungewiss sein: Einerseits können Schulden bei der Inventarisierung nach Art. 71 Abs. 1 lit. b FusG schlicht vergessen gehen. Andererseits kann eine ausdrückliche Zuordnung etwa auch deshalb unterblieben sein, weil die entsprechende Verbindlichkeit den an der Vermögensübertragung beteiligten Rechtsträgern im Zeitpunkt der Inventarisierung noch gar nicht bekannt war. Anders als bei der Spaltung1814 und hinsichtlich der Aktiven (Art. 72 FusG) enthält das Fusionsgesetz bei der Vermögensübertragung jedoch keine ausdrückliche Regelung für Verbindlichkeiten (Passiven), die sich aufgrund des Inventars nicht zuordnen lassen.
939In Anlehnung an Art. 72 FusG betreffend nicht zugeordneter Aktiven sowie gestützt auf das Grundprinzip des Übergangs aller im Inventar aufgeführten Vermögensgegenstände mit der Handelsregistereintragung (Art. 73 Abs. 2 FusG), welches uneingeschränkt auch für die Passiven gilt, erscheint es unseres Erachtens sinnvoll, dass auch Verbindlichkeiten, die sich aufgrund des Inventars nicht zuordnen lassen, beim übertragenden Rechtsträger verbleiben.1815 Im Zweifelsfall werden sich die Gläubiger ohnehin an ihren bisherigen Schuldner und damit an den übertragenden Rechtsträger halten: Falls die entsprechende Schuld nicht übertragen wurde, besteht seine bisherige Haftung unverändert fort; falls die Schuld tatsächlich übertragen wurde, haftet er gemäss Art. 75 FusG solidarisch; und falls sich die Schuld im Rahmen der Vermögensübertragung nicht zuordnen lässt, bleibt der übertragende Rechtsträger analog Art. 72 FusG unverändert haftbar. Zumindest während der dreijährigen Dauer der Solidarhaftung nach Art. 75 FusG können die Gläubiger also im Zweifelsfall durch die Belangung des übertragenden Rechtsträgers vermeiden, ihre Forderungen gegenüber dem falschen Schuldner geltend zu machen.
Haftungssubstrat beim übertragenden Rechtsträger
940Die Solidarhaftung und die Sicherstellungspflicht nach Art. 75 FusG schützen die Interessen der Gläubiger jener Verbindlichkeiten, die auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen. Mit diesen Schutzmechanismen wird das Bonitätsrisiko abgedeckt, das für die Gläubiger mit der Übertragung der Verbindlichkeiten auf einen neuen Schuldner entsteht. Demgegenüber entsteht für die Gläubiger von Verbindlichkeiten, die beim übertragenden Rechtsträger verbleiben, kein derartiges Bonitätsrisiko. Dies trifft zumindest soweit zu, als die Vermögensübertragung dem übertragenden Rechtsträger bei angemessener Gegenleistung kein Haftungssubstrat entzieht, sondern das Haftungssubstrat lediglich umschichtet.1816
941Es gilt aber im Auge zu behalten, dass die Vermögensübertragung gemäss Art. 71 Abs. 1 lit. d FusG nicht zwingend eine Gegenleistung voraussetzt,1817 und dass die Vertretbarkeit der Gegenleistung im Rahmen der Vermögensübertragung keiner besonderen Revision unterliegt.1818 Auch Gläubiger von Verbindlichkeiten, die bei der Transaktion nicht übergehen, sondern beim übertragenden Rechtsträger verbleiben, können daher beeinträchtigt werden: Wenn keine oder keine angemessene Gegenleistung vereinbart wird, verlieren die Gläubiger in Form der übertragenen Vermögenswerte einen Teil ihres bisherigen Haftungssubstrats. Geschützt sind sie immerhin durch den Vorbehalt der gesetzlichen und statutarischen Bestimmungen über den Kapitalschutz1819 und die Liquidation in Art. 69 Abs. 2 FusG. Überdies sind auch die insolvenzrechtlichen Bestimmungen zu berücksichtigen (insbesondere Art. 285 ff. SchKG).1820
Haftungssubstrat beim übernehmenden Rechtsträger
942Aufgrund der aufgezeigten Eigenheiten der Vermögensübertragung ist es denkbar, dass die Transaktion auch Gläubiger von bisherigen Verbindlichkeiten des übernehmenden Rechtsträgers gefährden kann: Diesen Gläubigern wird durch die Vermögensübertragung Haftungssubstrat entzogen, wenn die Gegenleistung des übernehmenden Rechtsträgers den wirtschaftlichen Wert der übertragenen Vermögenswerte übersteigt. Für diese Gläubiger von Altschulden des übernehmenden Rechtsträgers sieht das Fusionsgesetz weder eine Solidarhaftung noch einen Sicherstellungsanspruch vor.1821 Einen gewissen Schutz bietet diesen Gläubigern Art. 71 Abs. 2 FusG, wonach das Inventar des übertragenen Vermögens einen Aktivenüberschuss ausweisen muss. Diese Bestimmung kann jedoch nicht verhindern, dass die übernehmende Gesellschaft eine zu hohe Gegenleistung erbringt, da der Wert der Gegenleistung in keinem notwendigen Verhältnis zum Aktivenüberschuss stehen muss.1822
943Das Ausrichten einer Gegenleistung an sich und deren Höhe liegen im weiten Ermessen der verhandelnden Leitungs- und Verwaltungsorgane.1823 Eine Sorgfaltspflichtverletzung dieser Organe und damit ein Verantwortlichkeitsanspruch nach Art. 108 FusG1824 kann naturgemäss nur schwer erstellt werden. Zum Schutz der Gläubiger von bisherigen Verbindlichkeiten des übernehmenden Rechtsträgers bleiben aber gemäss Art. 69 Abs. 2 FusG auch beim übernehmenden Rechtsträger die Bestimmungen über den Kapitalschutz und die Liquidation vorbehalten. Die Gläubiger werden daneben auch durch die Anfechtungsmöglichkeiten gemäss Art. 285 ff. SchKG geschützt.
Rechtsbehelfe
Kommen Gläubiger infolge Pflichtverletzungen der mit der Vermögensübertragung befassten Personen zu Schaden, so können sie gemäss Art. 108 FusG gegen diese Personen eine Verantwortlichkeitsklage erheben. Art. 108 FusG verweist unabhängig von der Rechtsform der betreffenden Gesellschaft in weiten Teilen auf die allgemeine aktienrechtliche Verantwortlichkeitsregelung in Art. 752 ff. OR.1825 Einerseits enthalten Art. 108 Abs. 1 und 2 FusG analog Art. 754 und 755 OR separate Normen für die Haftung der für die Durchführung der Umstrukturierung Verantwortlichen bzw. der mit der Prüfung der Umstrukturierung betrauten Personen. Andererseits wird in Art. 108 Abs. 3 FusG differenziert auf direkt oder sinngemäss anwendbare Bestimmungen der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit verwiesen, wobei ebenfalls zwischen Ansprüchen ausserhalb und im Konkurs unterschieden wird.
Ein Verantwortlichkeitsanspruch der Gläubiger des übertragenden Rechtsträgers kann insbesondere dann aktuell werden, wenn für die Vermögensübertragung keine oder keine angemessene Gegenleistung entrichtet wird. Die Gläubiger des übernehmenden Rechtsträgers können demgegenüber einen Schaden erleiden, wenn eine zu hohe Gegenleistung bezahlt wird. Das Recht auf Sicherstellung ihrer Forderungen können die Gläubiger gerichtlich1826 oder allenfalls auf dem Weg einer Betreibung auf Sicherheitsleistung1827 durchsetzen.
Führt eine Vermögensübertragung etwa infolge unangemessener Gegenleistung schliesslich zum Konkurs eines an der Transaktion beteiligten Rechtsträgers, so können dessen Gläubiger die Vermögensübertragung im Rahmen von Art. 285 ff. SchKG paulianisch anfechten und nach Art. 291 SchKG zumindest teilweise rückgängig machen.1828