4. Vorbehalt des Rechtsmissbrauchsverbots
Im Rahmen einer Fusion, Spaltung oder Vermögensübertragung ist die Übertragung der betroffenen vertraglichen Forderungen und Schulden oder sogar ganzer Vertragsverhältnisse vom übertragenden auf den übernehmenden Rechtsträger möglich. Der Übergang erfolgt im Rahmen einer (partiellen) Universalsukzession und setzt damit keine Zustimmung der jeweils anderen Vertragspartei voraus.1935 Da mittels Vermögensübertragung (sowie auch der Spaltung) auch nur einzelne Vermögenswerte übertragen werden können, besteht eine erhöhte Missbrauchsgefahr, da diese Transaktionsformen auch missbräuchlich zur Umgehung von Übertragungsbeschränkungen eingesetzt werden könnten.1936 Nebst den bereits genannten Gläubigerschutzvorkehren im Fusionsgesetz wird deshalb die weitgehende Gestaltungsfreiheit, welche Vermögensübertragung (und Spaltung) mit sich bringen, zusätzlich durch das Verbot des Rechtsmissbrauchs begrenzt.1937
Gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB1938 findet der offenbare Missbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz. Diese Folge ist auf evidente Fälle des Rechtsmissbrauchs beschränkt.1939 Im vorliegenden Zusammenhang ist vor allem zu prüfen, ob die Berufung auf den automatischen Vertragsübergang im Einzelfall als zweckwidrige Verwendung eines Rechtsinstituts gilt. Davon ist auszugehen, wenn eine Transaktion (Fusion, Spaltung oder Vermögensübertragung) mit dem vom Gesetzgeber angestrebten Zweck nichts mehr zu tun hat oder diesen gar ad absurdum führt.1940
Das Fusionsgesetz bezweckt eine Erweiterung und Flexibilisierung der Handlungsmöglichkeiten für Unternehmen, um ihre Struktur an veränderte Bedürfnisse anzupassen.1941 Dabei soll es etwa im Rahmen einer Vermögensübertragung auch möglich sein, bloss einzelne Vermögensstücke zu übertragen.1942 Erfolgt eine solche Transaktion aber einzig zur Umgehung von Übertragungshindernissen, die bei der Singularsukzession zu beachten wären (zum Beispiel die Zustimmung der jeweils anderen Vertragspartei zur Vertragsübertragung),1943 oder dient sie der «Entsorgung» eines unliebsamen Vertrags unter Umgehung der Kündigungsbestimmungen, liegt eine zweckwidrige Verwendung des entsprechenden Rechtsinstituts i.S.v. Art. 2 Abs. 2 ZGB vor.
Ein Indiz für Rechtsmissbrauch kann etwa darin gesehen werden, dass ein Vertrag wider jede ökonomische Logik von seinem betrieblichen Umfeld entkoppelt wird.1944 Dabei ist der Begriff der ökonomisch zusammenhängenden Einheit weit auszulegen. Im Rahmen von Umstrukturierungen müssen oftmals Einheiten zerschlagen werden, die sich nicht bewährt haben. Es wäre daher nicht sachgerecht, Rechtsmissbrauch bereits deshalb anzunehmen, weil der Vertragsübergang nicht im Rahmen des Übergangs eines ganzen Betriebs oder Betriebsteils erfolgt.1945 Umgekehrt kann Rechtsmissbrauch grundsätzlich immer dann ausgeschlossen werden, wenn durch die Transaktion ein Vertragsverhältnis nicht von jenem Betriebsteil abgetrennt wird, auf den es sich bezieht. Bei Übertragung einer ökonomisch zusammenhängenden Einheit können Verträge, die mit dieser übergehenden Einheit verbunden sind, von der übernehmenden Gesellschaft besser erfüllt werden als von der übertragenden Gesellschaft. Vermutungsweise ist in solchen Fällen den Interessen des Dritten bei einer Übertragung, auch bei vorhandenen Übertragungshindernissen, besser gedient als bei einem Verbleiben beim übertragenden Subjekt. Diese Überlegung liegt auch Art. 333 OR zugrunde: Den Interessen der Arbeitnehmer ist besser gedient, wenn ihre Arbeitsverhältnisse zusammen mit dem Betrieb, auf den sie sich beziehen, auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen. Art. 333 OR vermittelt sogar einen Anspruch auf Übernahme der betreffenden Arbeitsverhältnisse.1946 Mangels gesetzlicher Grundlage kann aber ausserhalb des Anwendungsbereichs von Art. 333 OR kein positiver Anspruch des Dritten auf Übertragung von Vertragsverhältnissen geschaffen werden.
Folge des Rechtsmissbrauchs kann die vollständige oder bloss teilweise Nichtigkeit einer Transaktion sein (Art. 20 OR). Vollumfänglich nichtig wäre etwa eine Vermögensübertragung, die selektiv nur ein einziges Vertragsverhältnis beschlägt und einzig zur Umgehung eines Übertragungshindernisses erfolgt. Teilnichtigkeit i.S.v. Art. 20 Abs. 2 OR kommt z.B. bei einer missbräuchlichen Einzelzuordnung eines Vertrags im Rahmen einer grösseren Transaktion infrage. Die Nichtigkeit einer rechtsmissbräuchlichen Transaktion oder Einzelanordnung gilt nach hier vertretener Ansicht ex tunc.1947 Damit kann der Drittpartner weiterhin vom übertragenden Rechtsträger Erfüllung verlangen. Gegenüber gutgläubigen Personen, welche gestützt auf einen allfällig bereits erfolgten Handelsregistereintrag Dispositionen vorgenommen haben, wird der übertragende Rechtsträger haftbar.