2. Jahresrechnung des Übernehmers
Für den Übernehmer ist die Fusion ein einzelner, komplexer Geschäftsvorfall (Buchungstatsache: Vermögensübertragung «uno actu»). Er schlägt sich bei der Absorption unmittelbar, ohne Sonderbilanz, in dessen Jahresbilanz nieder, bei der Kombination in dessen Gründungsbilanz. Bezüglich Stichtag gelten die Überlegungen des Überträgers spiegelbildlich. Die Gegenleistung für das übertragene Nettovermögen besteht in neu geschaffenen oder zuvor schon existenten (eigenen) Anteilen des Übernehmers und ggf. der Ausgleichszahlung – soweit nicht eine Abfindung geleistet wird. Soweit Anteile des Übernehmers neu geschaffen werden (Neugründung oder Kapitalerhöhung), handelt es sich bei der Übertragung um eine Sacheinlage der Anteilseigner des Überträgers, in den anderen Fällen um einen Anschaffungsvorgang (Erwerb) des Übernehmers.2382
Die Bilanzierungsfähigkeit (und -pflicht) der eingebrachten – soweit Anteile neu geschaffen werden – bzw. der erworbenen Nettovermögensbestandteile richtet sich nach Art. 959 OR.2383 Die Anschaffungskosten einer Vermögensgesamtheit (wie hier) werden grundsätzlich nach Massgabe von Art. 960 ff. OR auf die einzelnen Aktiven und Verbindlichkeiten verteilt, wobei als Anschaffungskosten von Aktiven aus Sicht des Übernehmers deren Verkehrswerte gelten. Auf dieser Basis werden die Nettoaktiven, einschliesslich eines allfälligen Goodwills, in der Jahresrechnung folgebewertet.
Die angestrebte Steuerneutralität der Fusion setzt nun aber die «Buchwertfortführung» voraus, d.h. die Erfassung des Nettovermögens genau zu Gewinn- bzw. Einkommensteuerwerten des Überträgers (Werte laut Fusionsbilanz zuzüglich allfälliger versteuerter stiller Reserven: Massgeblichkeitsprinzip).2384 Insoweit steht das Steuerrecht2385 im Gegensatz zu den Vorschriften des 32. OR-Titels.
- Auszugehen ist von einem Wahlrecht zur Buchwertfortführung,2386 das fürs übernommene Nettovermögen gesamthaft auszuüben ist, und zwar auch bezogen darauf, welche Posten überhaupt zu bilanzieren sind. OR-widrige Wertansätze des Überträgers sind dabei ggf. zu korrigieren. Der Grundsatz der Stetigkeit gilt für steuerliche Wahlrechte nicht.
- Indem die herrschende juristische Lehre ein Gebot der Buchwertfortführung annimmt,2387 ignoriert sie, dass der Übernehmer ein separater Rechtsträger ist, für den das Anschaffungskostenprinzip von Art. 960a OR auch im Rahmen einer Fusion gilt.
Ein Mehrbetrag des übernommenen Nettovermögens gegenüber neu geschaffenem Grundkapital (sog. Fusionsagio) muss wie bei jeder Sacheinlage als gesetzliche Kapitalreserve erfasst werden (Agio; Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. b i.V.m. Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1 OR)2388 – «soweit er nicht zu Abschreibungen oder zu Wohlfahrtszwecken verwendet wird».2389
Ist das übernommene Nettovermögen dagegen – buchmässig, nicht zu Verkehrswerten! – kleiner als das neu geschaffene Grundkapital, ergibt sich ein sog. Fusionsdisagio. Dieser Unterschiedsbetrag sollte in Analogie zum Agio mit der gesetzlichen Kapitalreserve verrechnet werden. Soweit er deren Betrag übersteigt, erscheint sein Ausweis als besonderer Minusposten im Anschluss an das Grundkapital angebracht (vgl. Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 OR).2390 Stattdessen wird eine Behandlung als Goodwill ebenso für zulässig erachtet.2391 Tatsächlich verkörpert der Betrag jedoch stille Willkürreserven, denn er resultiert, weil das Nettovermögen nicht zu Verkehrswerten erscheint.2392 Seine Behandlung als Goodwill lässt sich allerdings vertreten, wenn der Unternehmenswert den Verkehrswert des Nettovermögens um mindestens den gleichen Betrag übersteigt.
Soweit bei einer Absorption der Übernehmer eigene Anteile2393 oder irgendwelche anderen Vermögenswerte hingibt (also keine Kapitalerhöhung, aber auch keine Barzahlung stattfindet), handelt es sich um einen Tausch: Als Anschaffungskosten gilt wahlweise der Buchwert oder der Verkehrswert der hingegebenen Vermögenswerte.2394 Diesem Betrag – und ebenso ggf. dem Betrag einer Barzahlung – steht auch hier der Betrag des übernommenen Nettovermögens gegenüber:2395
- Überschreitet das Nettovermögen die Anschaffungskosten, wird mit der Fusion ein Gewinn realisiert (sog. Fusionsgewinn).
- Unterschreitet das Nettovermögen die Anschaffungskosten, kommt es zu einem Buchverlust (sog. Fusionsverlust), der auch daraus resultieren kann, dass das Nettovermögen nicht zu Verkehrswerten erscheint. Ein ggf. darüber hinausgehender Mehrbetrag der Anschaffungskosten verkörpert – falls der Unternehmenswert den Verkehrswert des Nettovermögens übersteigt – Goodwill.
Sofern wesentlich, ist dieser Posten in der Erfolgsrechnung oder im Anhang separat auszuweisen.2396
Bei Absorptionen innerhalb eines Konzerns ist weder eine Kapitalerhöhung noch überhaupt eine Gegenleistung erforderlich, soweit nicht Dritte Anteilseigner des Überträgers sind:
- Bei der Mutter-Tochter-Fusion sind Übernehmer (Mutterunternehmen) und Anteilseigner identisch; das übernommene Nettovermögen des Tochterunternehmens «ersetzt» ohne Tausch die zuvor schon gehaltene Beteiligung am Tochterunternehmen. Entsprechend einem Mehrbetrag des Nettovermögens gegenüber dem Beteiligungsbuchwert wird ein Gewinn realisiert (Fusionsgewinn).2397 Ein Minderbetrag des Nettovermögens gegenüber dem Beteiligungsbuchwert (Fusionsverlust) verkörpert zunächst stille Willkürreserven, soweit das Nettovermögen nicht zu Verkehrswerten erscheint.2398 Ein ggf. darüber hinausgehender Mehrbetrag der Beteiligung verkörpert Goodwill.2399 Dem liegt die Annahme einer nicht überbewerteten Beteiligung zugrunde.2400 Goodwill wird unter den immateriellen Werten ausgewiesen (Art. 959a Abs. 1 Ziff. 2 lit. d OR), und zwar bei Wesentlichkeit in der Bilanz oder im Anhang separat, und planmässig über seine geschätzte Nutzungsdauer abgeschrieben.2401 Soweit die Nutzungsdauer nicht verlässlich schätzbar ist, muss die Abschreibung zügig (etwa über fünf Jahre) erfolgen; darüber hinaus ist zu beurteilen, ob per Bilanzstichtag ein Wertberichtigungsbedarf vorliegt.2402 Soweit der Posten in wesentlichem Umfang stille Reserven beinhaltet, ist die Darstellung als Goodwill erläuterungsbedürftig (vgl. Art. 959c Abs. 1 Ziff. 2 OR).
- Bei der Tochter-Mutter-Fusion besteht die Gegenleistung an die Anteilseigner des Mutterunternehmens (Überträger) in Anteilen des Tochterunternehmens. Da diese Bestandteil des übernommenen Nettovermögens sind, bedarf es keiner Kapitalerhöhung: Das übrige Nettovermögen des Mutterunternehmens geht dem Tochterunternehmen als Sacheinlage ohne Gegenleistung zu, d.h. resultiert in einem Fusionsagio oder -disagio.2403
- Bei der Schwestern-Fusion ist der Anteilseigner des Überträgers auch Anteilseigner des Übernehmers; für eine Gegenleistung ist kein Raum. Das Nettovermögen des Überträgers resultiert in einem Fusionsagio.2404
Vorsicht ist hier insofern geboten, als es sich bei den beteiligten Unternehmen um eine wirtschaftliche Einheit handelt: In der allfälligen Konzernrechnung dürfen konzerninterne Fusionen keine Spuren hinterlassen.
Beispiel 1: Absorption
Die A-AG übernimmt durch Absorption die B-AG. Der Unternehmenswert von A beträgt TCHF 1000, jener von B TCHF 400. Zum besseren Verständnis wird die Bilanz der A-AG (des Übernehmers) «eine logische Sekunde» vor der Fusion gezeigt:
Bilanz A-AG vor Fusion |
|||
Aktiven |
800 |
Fremdkapital |
300 |
Aktienkapital |
200 |
||
Gesetzliche Gewinnreserve |
300 |
||
Total Aktiven |
800 |
Total Passiven |
800 |
Fusionsbilanz des Überträgers:
Fusionsbilanz B-AG |
|||
Aktiven |
400 |
Fremdkapital |
200 |
Aktienkapital |
150 |
||
Gesetzliche Gewinnreserve |
50 |
||
Total Aktiven |
400 |
Total Passiven |
400 |
Berechnung der erforderlichen Kapitalerhöhung der A-AG:
A-AG |
B-AG |
|||
Aktienkapital |
TCHF |
200 |
TCHF |
150 |
Anzahl Aktien |
10 000 |
5000 |
||
Unternehmenswert |
TCHF |
1000 |
TCHF |
400 |
Wert je Aktie |
CHF |
100 |
CHF |
80 |
Verhältnis der Werte je Aktie: 1,25 : 1 [= 100 : 80]
Umtauschverhältnis: 1/1,25 = 0,8 (für 1 Aktie der B-AG erhalten deren Aktionäre 0,8 Aktien der A-AG)
Kapitalerhöhung: TCHF 150 × 0,8 = TCHF 120
Berechnung des Unterschiedsbetrags der A AG:
Aktiven B-AG |
400 |
Fremdkapital B-AG |
–200 |
Übernommene Nettoaktiven |
200 |
Neu geschaffenes Aktienkapital |
–120 |
Fusionsagio (gesetzliche Kapitalreserve) |
80 |
Bilanz des Übernehmers «eine logische Sekunde» nach der Fusion:
Bilanz A-AG nach Fusion |
|||
Aktiven [800+400] |
1200 |
Fremdkapital [300+200] |
500 |
Aktienkapital [200+120] |
320 |
||
Gesetzliche Gewinnreserve |
300 |
||
Gesetzliche Kapitalreserve |
80 |
||
Total Aktiven |
1200 |
Total Passiven |
1200 |
Beispiel 2: Mutter-Tochter-Fusion (konzerninterne Absorption)
Die A-AG übernimmt durch Absorption die von ihr zu 100 % erworbene B-AG. Deren Fusionsbilanz sei identisch mit jener in Beispiel 1. Der Beteiligungsbuchwert bei der A-AG betrage TCHF 400 (er entspricht den Anschaffungskosten). Zum besseren Verständnis wird die Bilanz der A-AG (des Übernehmers) «eine logische Sekunde» vor der Fusion gezeigt:
Bilanz A-AG vor Fusion |
|||
Beteiligung |
400 |
Fremdkapital |
400 |
Sonstige Aktiven |
600 |
Aktienkapital |
200 |
Gesetzliche Gewinnreserve |
400 |
||
Total Aktiven |
1000 |
Total Passiven |
1000 |
In diesem Fall wird für die übernommenen Nettoaktiven keine Gegenleistung erbracht, sondern diese treten an die Stelle der zuvor gehaltenen Beteiligung (es findet deshalb keine Kapitalerhöhung statt).
Berechnung des Unterschiedsbetrags der A AG:
Beteiligung (geht unter) |
400 |
Übernommene Nettoaktiven |
–200 |
Goodwill |
200 |
Bilanz des Übernehmers «eine logische Sekunde» nach der Fusion:
Bilanz A-AG nach Fusion |
|||
Goodwill |
200 |
Fremdkapital [400+200] |
600 |
Sonstige Aktiven [600+400] |
1000 |
Aktienkapital |
200 |
Gesetzliche Gewinnreserve |
400 |
||
Total Aktiven |
1200 |
Total Passiven |
1200 |