2. Übertragung von Aktiven und Passiven vor dem Inkrafttreten des FusG

2.1 Singularsukzession
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Die einseitige Übertragung von absoluten Rechten (z.B. Übergabe einer beweglichen Sache) auf dem Weg der Singularsukzession bereitete auch vor dem Inkrafttreten des Fusionsgesetzes keine nennenswerten Probleme. Eine einseitige Verfügung über relative Rechte hingegen war einzig im Fall der Abtretung einer Forderung vorgesehen. Andere relative Rechte wie etwa Gestaltungsrechte konnten, wenn überhaupt, nur mit Zustimmung der Gegenpartei übertragen werden. Selbst die Zulassung der Abtretung von Forderungen (Zession), die primär auf der Notwendigkeit einer ökonomischen Flexibilisierung beruhte, stellte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen rechtskulturellen Durchbruch dar: Bis zu diesem Zeitpunkt liess sich ein Forderungsübergang nämlich nur durch Novation realisieren, also durch Abschluss eines Vertrags des alten und des neuen Gläubigers mit dem Schuldner. Die damals revolutionäre Natur des Schritts hin zur freien Disposition über Rechtspositionen durch Zession erklärt die Zurückhaltung bei der konkreten Ausgestaltung der Abtretung und insbesondere ihre Beschränkung auf Forderungen.

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Das vor Inkrafttreten des FusG anwendbare Recht kannte zudem grundsätzlich keine Möglichkeit eines Schuldnerwechsels oder einer Übertragung einzelner Pflichten ohne Zustimmung des Gläubigers. Eine beschränkte Ausnahme von diesem Grundsatz bildete die Schuldübernahme nach Art. 181 Abs. 4 OR für die Übernahme eines Vermögens oder eines Geschäfts: Sobald die Übernahme den Gläubigern öffentlich ausgekündigt worden ist, wurde der neue Schuldner ohne Weiteres verpflichtet (kumulative Schuldübernahme). Der bisherige Schuldner haftete früher mit dem neuen noch während zweier Jahre, mit dem Inkrafttreten des Fusionsgesetzes wurde diese Haftung – in Angleichung an Art. 26 Abs. 2, Art. 48 und Art. 75 FusG – auf drei Jahre verlängert. Bei dieser Bestimmung handelt es sich jedoch nicht um einen Anwendungsfall der Universalsukzession, da weder Aktiven noch Vertragsverhältnisse automatisch übergehen, sondern nur die Haftungsverhältnisse geregelt werden.1910

2.2 Universalsukzession
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Anders gestaltete sich die Rechtslage vor Inkrafttreten des Fusionsgesetzes nur dort, wo aufgrund der besonderen Umstände keine andere praktikable Lösung möglich war als eine Gesamtrechtsnachfolge, bei welcher sämtliche Rechte und Pflichten uno actu und ohne Mitwirkung von einer anderen Partei auf den Rechtsnachfolger übergingen.1911 Hauptbeispiel und frühester Anwendungsfall dieser sogenannten Universalsukzession ist der Erbgang: Gemäss Art. 560 Abs. 1 ZGB gehen beim Erbgang von Gesetzes wegen sämtliche Rechte und Pflichten des Erblassers auf dessen Rechtsnachfolger über. Ein Zustimmungserfordernis von Drittparteien zum Übergang der Vertragsverhältnisse im Todesfall macht schlicht keinen Sinn, da die Drittpartei ja nicht die Wahl­möglichkeit hat, am bisherigen, nunmehr verstorbenen Vertragspartner fest­zu­halten. Vereinzelt finden sich dafür bei den Folgen des Erbgangs gewisse Schutzbestimmungen zugunsten der Gläubiger des Erblassers.1912

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In einem weiteren Schritt wurde das Konzept der Universalsukzession auf den Untergang eines Rechtsträgers im Rahmen einer Fusion ausgedehnt: Anders als im Fall einer Liquidation, bei der in einem geordneten Verfahren alle Rechtsbeziehungen der Gesellschaft beendet werden, gehen bei der Fusion in einem Schritt alle Rechte und Pflichten auf die übernehmende Gesellschaft über; dabei geht die alte Gesellschaft unter. Im Vergleich zum Erbgang, der in aller Regel von den Beteiligten nicht beeinflusst werden kann, steht die Fusion und damit das Auslösen einer Universalsukzession im Belieben der daran beteiligten Rechtsträger.

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Insbesondere im Zusammenhang mit der Fusion nach früherem Recht gemäss Art. 748–750 aOR galt der Grundsatz, dass sämtliche Rechte und Pflichten ohne Mitwirkung Dritter automatisch übergingen, unangefochten1913: Aus dem We­­sen der Universalsukzession wurde geschlossen, dass es nicht möglich sein soll, einzelne Rechte und Pflichten von der Übernahme durch die emp­fangende Gesellschaft auszuschliessen.1914 Eine Universalsukzession bewirkte auch nach früherem Recht den Übergang von Gestaltungsrechten und Schulden, die auf dem Weg einer Singularsukzession ohne Zustimmung der Gegenpartei nicht übertragbar wären. So war die Anwendung von Art. 333 OR für den Fall der Universalsukzession umstritten, da bei einer solchen sämtliche Rechte und Pflichten der untergehenden Gesellschaft (und damit auch deren Arbeitsverhältnisse) ohne Zustimmung von Schuldner und Gläubiger auf die übernehmende Gesellschaft übergehen.1915

2.3 Flankierende Schutzmechanismen
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Sowohl bei der Verfügung über einzelne relative Rechte als auch bei der ­automatischen Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession) war und ist eine zunehmende Liberalisierung in der Dispositionsfreiheit der Parteien zu erkennen: Vom Forderungsübergang durch Novation hin zur Zession; vom unbeeinflussbaren Erbgang hin zur Fusion mit einer gewissen Willkürkomponente. Flankiert wurden diese Schritte zu grösserer Dispositionsfreiheit der Parteien beinahe durchwegs durch Schutzmechanismen zugunsten der Drittparteien, wie etwa die befreiende Wirkung bei Leistung des gutgläubigen Schuldners an den Zedenten in Art. 167 OR oder Schuldenrufe und getrennte Vermögensverwaltung bei der Fusion nach Art. 748 aOR. Derartige Mechanismen sollten – funktional und institutionalisiert – die nun fehlende Zustimmung der Drittpartei ersetzen.