1. Überblick über die wesentlichen Bestimmungen
Das bis zum Inkrafttreten des Fusionsgesetzes geltende schweizerische Recht regelte grenzüberschreitende Umstrukturierungen mit Ausnahme der Verlegung der Gesellschaft nicht. Die Lehre ging trotz fehlender ausdrücklicher Regelung davon aus, dass grenzüberschreitende Umstrukturierungen (insbesondere Fusionen und Spaltungen) in analoger Anwendung der Bestimmungen über die Sitzverlegung zulässig waren, da Teilhaber an einer Gesellschaft kein wohlerworbenes Recht auf Beibehaltung des Gesellschaftsstatus haben.2045
Eine eingehende Regelung findet sich in Art. 161–164b IPRG, die gleichzeitig mit dem Fusionsgesetz in Kraft getreten sind. Diese Bestimmungen modifizieren die früheren Normen zur Verlegung der Gesellschaft (Art. 161–163 IPRG). Zudem werden die Besonderheiten einer grenzüberschreitenden Fusion (Art. 163a–163c IPRG), Spaltung und Vermögensübertragung (Art. 163d IPRG) geregelt. Da die grenzüberschreitende Umwandlung nichts anderes als eine Verlegung der Gesellschaft mit anschliessendem oder vorhergehendem Rechtskleidwechsel darstellt, ist diese Transaktionsform nicht eigenständig geregelt, sondern unterliegt Art. 161–163 IPRG.
Art. 164 IPRG befasst sich eingehend mit den Voraussetzungen zur Löschung einer Gesellschaft im schweizerischen Handelsregister. Bei Emigrationsfusionen und Emigrationsspaltungen steht nach Art. 164a Abs. 1 IPRG für die Überprüfungsklage2046 ein Gerichtsstand am schweizerischen Sitz der übertragenden Gesellschaft zur Verfügung. Gemäss Art. 164a Abs. 2 IPRG bleibt in solchen Fällen der bisherige Betreibungsort und der Gerichtsstand in der Schweiz so lange bestehen, bis die Forderungen der Gläubiger oder Anteilsinhaber sichergestellt oder befriedigt worden sind. Der mit Inkrafttreten des FusG neu eingeführte Art. 164b IPRG nennt schliesslich die Voraussetzungen der Anerkennung von Umstrukturierungen ausländischer Gesellschaften.
Das Fusionsgesetz selber enthält mit Art. 28 Abs. 4 FusG und Art. 77 Abs. 3 FusG ebenfalls Bestimmungen, die bei grenzüberschreitenden Transaktionen direkt anwendbar sind. Es geht dabei jeweils um die Pflicht zur Konsultation der Arbeitnehmervertretung, welche auch für die übernehmende Gesellschaft mit Sitz im Ausland gilt.
Trotz der Einführung der oben genannten Bestimmungen sind internationale Umstrukturierungen weiterhin wenig verbreitet. Einer der Gründe liegt darin, dass die Regelungen des IPRG oft kein entsprechendes Äquivalent im ausländischen Recht finden. Ausserdem sind die Normen des IPRG, obwohl sie auf den ersten Blick relativ einfach aussehen, zum Teil unklar. Zudem ist es nicht immer einfach, die in der HRegV geforderten Nachweise zu erbringen. Oft werden deshalb internationale Transaktionen auf dem Weg des Verkaufs der schweizerischen an eine ausländische Gesellschaft (und vice versa) durchgeführt.2047